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Die Reformatoren St.Gallens

Sie beide trennten nicht nur die unterschiedlichen Auffassungen der Religion, sondern auch mehr als 200 Jahre: Für Johannes Kessler (1502–1574) war das Lesen der Bibel der einzige wahre Weg zu einem gottgefälligen Leben. Anna Schlatter-Bernet (1773–1826) war weltoffen und setzte sich bereits früh für eine ökumenische Zusammenarbeit ein. Ersterer trug die Reformation in St.Gallen voran, letztere gilt als wichtigste Frau der Erweckungsbewegung im deutschen Sprachgebiet. Ein Porträt von zwei wichtigen Reformatoren St.Gallens.

 

Johannes Kessler, geboren 1502, stammte aus einer armen St.Galler Familie und kann als den theologischen Kopf der Reformation in St.Gallen bezeichnen, der zusammen mit Vadian und weiteren die Reformation vorantrieb. Kessler studierte zunächst in Basel, wo er Erasmus von Rotterdam hörte. Der Humanist Erasmus hatte 1516 ein griechisches Neues Testament publiziert. Nun konnte man die Bibel – die Quelle – in der Originalsprache lesen und damit den Hunger und den Durst nach Wahrheit stillen. Seine Studien setzte Kessler bei Martin Luther in Wittenberg fort.

Am 9. November 1523 kam Kessler zurück nach St.Gallen. Die Zeit war noch nicht reif dazu, dass man ihn mit seiner reformierten Lehre als Pfarrer angestellt hätte. Deshalb arbeitete er während gut zehn Jahren als Sattler. Das hat der Verbreitung der Reformation in der breiten Bevölkerung Vorschub geleistet. Schon am Neujahrstag 1524 wurde er vor allem von Männern aus der Weberzunft gebeten, regelmässig die Bibel im Sinne von Martin Luther zu lesen und auszulegen. Sie trafen sich fortan jeden Sonntag und an allen Feiertagen in einem privaten Haus, in der Nähe der Kirche St.Laurenzen. Die Zusammenkünfte nannte Kessler «Lectionen», heute sind sie als «Lesinen» bekannt.

Kessler hatte mit seinen «Lesinen» grossen Erfolg. Die Gründe dafür liegen in der neuen reformierten Theologie: Das Geschehen im Abendmahl wurde nicht mehr als «Heil» schaffend interpretiert. Den Weg zu einem sinnerfüllten Leben und die Zuversicht, von Gott angenommen zu sein, suchte man im Lesen der Bibel und im Verstehen des Wortes Gottes. Damit stand nicht mehr die Eucharistiefeier, sondern das tägliche Lesen der Bibel im Zentrum. Von dieser zentralen Funktion der Predigt als Auslegung der Bibel zeugt heute die Bezeichnung für die reformierten Pfarrpersonen «verbi divini minister», Diener an Gottes Wort.

Die «weltoffene St.Galler Christin»

Anna Schlatter-Bernet lebte fast 200 Jahre nach Kessler (und Vadian). Aufgewachsen in einer wohlhabenden und streng pietistischen St.Galler Familie, erlebte sie im Alter von 30 Jahren eine tiefe körperliche und geistige Krise. Diese konnte sie durch ihre Hinwendung zu Gott überwinden. Anna Schlatter-Bernet gilt von da an als wichtigste Frau der Erweckungsbewegung im deutschen Sprachgebiet, einer dem Pietismus verwandten religiösen Strömung. An der damaligen St.Galler Kirche kritisierte sie den dominierenden Rationalismus, war aber gegen jede Form der Spaltung. Sie verband eine tief im Alltag verankerte Frömmigkeit mit weltoffenem und teilweise konfessionsübergreifendem Denkhorizont. Sie war überzeugt, dass alle Menschen gerettet und mit Gott versöhnt werden konnten.

Anna Schlatter-Bernet las theologische Bücher und diskutierte über theologische Positionen. In ihrem Haus «Hinterm Turm» an der Ecke Kugelgasse/Turmgasse empfing sie namhafte Theologen und Pfarrer wie Johann Caspar Lavater, Johann Heinrich Jung-Stilling, Johannes Evangelista Gossner, Martin Leberecht de Wette und Friedrich Schleiermacher. Auch stand sie im Briefkontakt mit dem Katholiken Johannes Michael Sailer, der 1822 zum Bischof von Regensburg geweiht wurde. Mit ihm, einem Anhänger der katholischen Erweckungsbewegung in Bayern, verband sie ein inniges Verhältnis. Beide bemühten sich zur Zeit der Restauration um Aussöhnung zwischen den Konfessionen und traten für ein ökumenisches Christentum ein.

Der Nachlass von Anna Schlatter-Bernet liegt in der Vadianischen Sammlung der Ortsbürgergemeinde St.Gallen. Er enthält nebst vielen Briefen und Gedichten von ihr verfasste biblische Betrachtungen, theologische Konzepte sowie politische Kommentare – eine Seltenheit für eine Frau aus jener Zeit. Anna Schlatter-Bernet, die «weltoffene St.Galler Christin», war eine St.Gallerin, die aus dem Schatten der reformatorisch gesinnten Männer über die Jahrhunderte heraustrat und sichtbar wurde.